10. Mai 2008

10. Mai 2008

Lieber Paul,

Danke vielmals für Deinen Brief vom 25. April.

Seit dem 10. April arbeite ich in einer Abteilung, die Leuchstofflampen zusammensetzt. Es ist anspruchslose Arbeit, aber ohne sie könnte ich nur wenige zusätzliche Lebensmittel kaufen und könnte meine Frau in den Staaten nicht anrufen, es muss also sein. Gleich am ersten Arbeitstag fragte mich ein älterer Häftling, ob er zu mir in die Zelle ziehen könne, weil ihn sein gegenwärtiger Zellkumpel mit seinem ganztägigen Fernsehgucken auf die Nerven gehe. Nachdem er zugestimmt hatte, in meiner Zelle nicht zu rauchen, dass es überhaupt kein Fernsehen gegeben würde und dass er nicht schnarcht, zog er am nächsten Tag ein. Während der ersten Nacht stellte sich heraus, dass er die ganze Nacht schnarcht, und zwar ziemlich laut. Es stellte sich zudem heraus, dass er sein Radio den ganzen Tag laufen lässt, rund um die Uhr, was bedeutet: es läuft sogar die ganze Nacht hindurch, wenn auch auf geringer Lautstärke. Glücklicherweise haben ich Ohrstopfen, so dass ich damit einigermaßen klar komme, aber es nervt schon. In ein paar Tagen wird er seine Strafe abgesessen haben, so dass ich ab Mittwoch nächster Woche wieder alleine sein werde, nur um mich früher oder später mit irgendeinem anderen Spinner gegenüber zu sehen. Im Gefängnis könnte man es ja aushalten, wenn nur die anderen Gefangenen nicht wären, die diese ganze missliche Lage in eine fortwährende Tortur verwandeln. Ich habe mich ab und zu mit einem recht anständigen Häftling aus der Schweiz unterhalten, der über die hier hausende Klientel ebenfalls entsetzt war, aber er wurde in einen anderen Teil des Gefängnisses für offenen Vollzug verlegt, so dass meine einzige Möglichkeit für vernünftige Unterhaltungen auf Dauer weg ist. Jetzt bin ich wieder in der Wüste. Proleten und Idoten sind schlicht nicht meine übliche soziale Umgebung, weshalb ich mich an diesen Ort nicht anpassen kann.

Als ich mich über die uns allen auferlegte Beschränkung bezüglich Verwendung unseres privaten Geldes zum Nachfüllen unseres Telefonkontos beschwerte – wir können nur 30 Euro pro Monate benutzen – bot mir ein anderer Häftling spontan ein Handy an, obwohl die hier verboten sind. Er führte es mir sogar vor und ließ mich herausfinden, wieviel ein Anruf in die Staaten kostet. Während wir diskutierten, das Konto an jemanden draußen zu übergeben, der es dann für mich auffüllen kann, wurde uns klar, dass wir eine neue Karte für das Handy brauchen. Mir wurde dann gesagt, das könne innerhalb von nur zwei Tagen organisiert werden. Die ganze Sache machte mich zusehends nervös, und so ich machte dann einen Rückzieher. Ein paar Wochen später hatten wir dann massive Zelldurchsuchungen, bei denen etwa 9 Handies gefunden wurden. Aber es dauerte nur ein paar Tage, bis wieder neue Handies angeboten wurden.

Das zeigt Dir in etwa, wie sehr die Beamten hier im Griff haben, was hier so abläuft. Auf das Thema Drogen werde ich noch nicht einmal eingehen, weil ich meilenweit davon weg bleibe, doch bieten einige Gefangene sie hier munter an; einige prahlen sogar mit der breiten Palette an Drogen, die sie anbieten können. Alles in allem denke ich, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo verbotene Altivitäten in größerer Häufung vorkommen als hier. Zumindest wenn es um Drogen geht. Na ja, ich halt mich da raus.

Die Ironie all dessen ist, dass uns das Gefängnis angeblich auf ein Leben ohne Verbrechen vorbereiten soll, wenn doch das Einzige, was man hier wirklich lernt, ist, wie man ein Berufsverbrecher wird, falls man bei Ankunft hier nicht schon einer war.

Die Sicherheit an diesem Ort ist ein schlechter Witz. Ein bisschen was davon passierte auch in Stuttgart und in Mannheim, aber nicht in dem Ausmaß. Das Problem, dem ich mich gegenüber sehe, ist, dass meine Post zensiert wird, weil mir nicht erlaubt ist, irgendwelches revisionistisches, rechtes, antijüdisches und ähnliches Zeug zu bekommen. Wenn man sich aber einige der Drucksachen anschaut, die ich während der letzten etwa 8 Wochen erhalten habe, muss ich sagen, dass diese Zensur auch nicht funktioniert, denn sobald eingehende Post in englischernSprache ist, schint es keinen mehr zu kümmern. So habe ich Material von Frederick Toben erhalten, von irgendeiner radikalen US-Moslemgruppe und von so ein paar ewiggestrigen Konföderierten in Alabama, die alle knallhartes Material über Juden, Revisionismus und so weiter enthielten.

Ich habe die für die Sicherheit verantwortlichen Beamten darauf aufmerksam gemacht, aber bisher ohne Erfolg. Was aber sehr wohl passiert ist, ist, dass ein Brief von mir an einen meiner deutschen Unterstüzer, in dem diese lächerlichen Sicherheitslücken beschrieben werden, beschlagnahmt wurde, weil ich darin der Aussage des Gefängnisbeamten zufolge grob unwahre Aussagen über das Gefängnis gemachte hätte.

Es scheint mir daher, dass man Sicherheitsprobleme hier nicht dadurch löst, indem man sie behebt, sondern indem man sie unter den Teppich kehrt. Allerdings bin ich mir noch nicht einmal sicher, warum genau mein Brief beschlagnahmt wurde, weil man mir das nicht mitteilt. Ich weiß bloß, dass er irgendeine unwahre Aussage enthalten soll.

Bezüglich meiner körperlichen Fitness: es scheint, dass mein rechter Fuß nachgegeben hat. Ich habe sowas schon befürchtet. Tatsache ist, dass ich immer schon Plattfüße gehabt habe und dass ich mein ganzes Leben nie gerannt oder gejoggt bin, zum Wohle meiner Füße. Das hat sich hier drinnen geändert, weil es im Gefängnis keine Fahrräder und Schwimmbäder gibt, weshalb ich laufen musste, dachte ich. Es stellt sich heraus, dass dies wohl doch keine gute Idee war. Die kleine Wölbung, die es unter meinem rechten Fuß gab, ist nun merklich kleiner, verglichen mit meinem linken Fuß, und er tut mir fast ständig weh, seit dem 15 Januar dieses Jahres. Der Arzt meint, ich solle für den Rest meines Lebens nicht mehr Joggen und soll die nächsten etwa sechs Monate weder viel stehen noch gehen, damit sich mein Fuß etwas erholen kann. Ich solle mich auf Ausdauersportarten wie Radfahren, Rudern und Schwimmen konzentrieren.

Nun, als hätte ich das mein ganzes Leben gewusst, denn das ist, was ich getan habe, seit ich 18 Jahre alt geworden war. Leider ist das hier nicht zu haben, weshalb ich es wohl schlicht werde aussitzen und abwarten müssen, bis die Freiheit wiederkehrt. Die wenigen Trainingsräder, die es hier gibt, kann ich derzeit nicht benutzen, weil sie für Häftlinge reserviert sind, die a) auf Arbeit warten, b) sich für besondere Sportgruppen eingetragen haben. Ich habe mich auch dafür eingetragen, aber die Warteliste ist 5 cm lang, wie mir der zuständige Beamte sagte, also vielleicht nächstes Jahr…

Mein Zelltraining musste ich auch aussetzen, weil mein rechter Brustmuskel vor wenigen Wochen wieder anfing, Ärger zu machen, nachdem ich die Liegestützen übertrieben hatte – das ist die alte Verletzung vom Volleyball vom August letzten Jahres. Zudem schmerzt meine linke Schulter wie auch mein rechtes Handgelenk, letzteres aus völlig unbekannten und obskuren Gründen; für die Schulter ist allerdings eine Kombination aus meiner eigenen Dummheit und schlechtem Einfluss von Freunden beim Training verantwortlich. Im Spätfrühling 2004 überdehnte ich meine Bänder in der linken Schulter während einer Kraftübung…

Jedenfalls habe ich es irgendwo übertriben, obwohl ich nicht weiß wo, wann und wie. Aber mit 43 bin ich nicht mehr 20, und ich muss es langsam angehen. Ich muss aber sagen, dass ich mein Training auf einem sehr hohe Niveau ausgesetzt habe, so hoch, dass ich mich entschloss, die Last nicht weiter zu erhöhen, weil ich mir anfing, Sorgen über etwaigen nachteilige Auswirkungen zu mach, falls ich es zu noch höheren Extremen treibe. Es es ist daher wahrscheinlich gut, eine Pause einzulegen und einen Monat lang oder so die Sommersonne zu genießen. Die Rumpfbeugen mache ich aber weiterhin, weil mich die Bauch- und Rückenmuskeln nie im Stich zu lassen scheinen, und weil das nach dem Herzen ohnehin die wichtigsten Muskeln sind, insbesondere für einen Kerl von 1.95 m Größe. Viele, wenn nicht gar die meisten Insassen zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwelche Rückenschmerzen, weil niemand vernünftige Betten, Stühle, Tische usw. hat, aber zumindest in dieser Hinsicht hatte ich bisher keine wirklichen Probleme, abgesehen von kleinen Übertreibungen, hin und wieder.

Anfang des Jahres hatte ich in Mannheim eine solche Phase, weshalb der Doktor mich zu einer Physiotherapeutin schickte. Die hatte etwa 6 andere Häftlinge da, die alle über Rückenschmerzen klagten, aber als sie mich ein paar Übungen machen ließ, meinte sie zu mir, ich sei geschmeidig wie ein Schlangenmensch und übertrainiert. Das war mein Problem. Ich hörte mit dem Trainieren für ein paar Wochen auf, und das setzte meinen milden Rückenschmerzen ein Ende. Falls ich also überhaupt irgendetwas falsch mache, so ist es, dass ich zu viel mache. Das scheint in meiner Natur zu liegen. Nicht bloß, wenn es um den Sport geht. Ich bin überall zu ehrgeizig…

Das ist alles von hier. Wenn Du willst, kannst Du diesen Brief vollständig der Netzgemeinde mitteilen.

Mit herzlichen Grüßen,
Germar